Adolf Muschg: "Diese Gedichte enthalten das Kondensat einer ganz privaten und zugleich überpersönlichen Erfahrung; flügge Worte, immer bereit und fähig, gegen ihre Bedeutungen aufzubrechen, in einen Raum, der sich durch nichts mehr definieren läßt als durch eben eben diesen Flug, auf den sie viel Schweres und Schwerstes mitnehmen."

Ernst Jandl: "Der Gedichtband »Pfingsten in Babylon« - unglaublich schöne Gedichte, in denen alles stimmt. Erkenntnis-Gedichte, ich finde kein Wort, das sie besser bezeichnet."

Manfred Riedel: "»Frischgeschütteter Kies./ Du fragst nach dem jüngsten/ der Steine.« Seine Gedichte sind Anreden und Erwiderungen, Selbstgespräche und Dialoge mit lebenden und toten Gefährten. Neumann sammelt lang Beschwiegenes, das seinem Dichten lapidare Ausdruckskraft verleiht, wie in Stein geschrieben."

Dagmar Nick. Aus der Laudatio zum Kulturpreis Schlesien des Landes Niedersachsen, Juni 2001:
Wir täuschen uns, wenn wir meinen, Peter Horst Neumann habe erst spät mit dem Gedichteschreiben begonnen, nur weil sein erster Lyrikband erst im Jahr 1994 erschien, unter dem harmlosen Titel »Gedichte Sprüche Zeitansagen«. Nein, Gedichte hat er seit jeher geschrieben. Aber der Universitätsprofessor für Neuere Deutsche Literaturgeschichte, der er war, scheute sich, nun auch noch auf diesem, dem fragilsten, heikelsten Gebiet der Literatur hervorzutreten, und also versteckte er über Jahrzehnte hin seine Verse, und zwar die besten in seiner Schreibtischschublade, die noch zu überarbeitenden in einer sogenannten »Nutzschrottmappe« - seine Bezeichnung. Es muß ihn wohl jemand dazu angestiftet haben, denn endlich entschloß er sich, einige seiner Gedichte in einem kleinen Verlag zu veröffentlichen. Diese Gedichte verbreiteten sich, wie ich glaube, weniger durch den Buchhandel, als vielmehr »unter der Hand«, sie wurden unter Lyrikkennern weitergereicht und erregten, von den maßgebenden Feuilletons unbemerkt. Aufsehen. Zwei Jahre später interessierte sich der Residenz-Verlag für Neumann und brachte dessen zweiten, gewichtigeren Lyrikband heraus: »Pfingsten in Babylon«. Der Titel ist programmatisch, und es müßte hier vor Ihnen ein Philosoph stehen, um darüber gebührend zu referieren. Denn es steckt, das ist das Geheimnisvolle und Verzwickte, in diesem Lyriker auch ein Philosoph. Beide durchdringen und ergänzen sich. Man kann sie nicht trennen. Tatsächlich gibt es nur wenige Gedichte von Neumann, die uns nicht am Ende in einer unerwarteten Pointe mit einem blitzlichthellen, philosophischen Gedanken überraschen.

Zumal in den Liebesgedichten, die sich gelegentlich unter verfremdenden Titeln tarnen, hören wir diesen Ton pianissimo. Ich zitiere sein Gedicht:

Barfuß

Im sichelreifen Gras,
an deinen Sohlen meine,
ein anderes Begreifen,
handfem, als wir übten
der Schritte leichtesten
den schwerelosen Gang,
im Rücken, die uns
trug und trägt und
tragen wird als Staub:
ich war dein Weg, du warst
du warst mein Grund.


Ein Liebesgedicht, so zärtlich und sinnlich wie es sein soll. Und gleich noch ein anderes. Er widmet es dem Pegasus, dem geflügelten Pferd, auf dem die Poeten der irdischen Schwerkraft entkommen. Auch hier, wie so oft, ein Neumannsches Täuschungsmannöver, denn in diesem Gedicht an Pegasus ist - bei einem mythologisch verschummelten Ritt durch den Himmel - ein reines Liebeslied versteckt.


Dem Pegasus

Die kalte Wand zeratmet -
Marmorfedern. Wie
Lämmerherden, weiß,
Sekundenbilder.

Wir flogen durch,
zweileibig, eine Haut,
nach den Gesetzen
schöner Wolkenkunst.

Dein Pferd gespornt,
du meine Reiterin,
mein Roß geflügelt,
ich dein Reiter.


Ich darf hier nicht ungrebremst weiterzitieren, obwohl ich es gerne täte. Es gibt auch Landschaftsgedichte, Erinnerungen an die Kinderschritte in Schlesien und Vers-Spiegelbilder für Dichterkollegen, und noch ein dritter Lyrikband wäre anzukündigen unter dem Titel „Die Erfindung der Schere". Aber ich muß ein Ende finden - also noch ein letztes Gedicht. Es trägt keinen Titel. Es lautet:

Wenn wir
in Drachenblut
baden,

ein Lindenblatt
soll uns
gnädig sein,

daß wir
verwundbar
bleiben.


Barbara von Wulffen. Aus der Einführung zur Lesung in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, Februar 2003:
Mein persönlicher Dank gilt Neumann für ein charmant skeptisches "Einer berfeundeten Kaulquappe" gewidmetes Gedicht von der Widerrufbarkeit der Kiemen: "das Prinzip Lunge/wird dir den Schwanz/abbrechen," daher der Rat, auf Fortschritt zu verzichten: "Werde nicht/was du sollst. Bleib/im Gleichnis der Fische."

Die eigentlichen Liebesgedichte, zärtlich-sinnlich, tarnen sich, wie Dagmar Nick in einer Laudatio sagte, unter verfremdenden Titeln. Auch sie, erst recht sind Sprachbewegung. In "Lesezeichen" heißt es, nie werde ein Buchstab einen anderen lesen, aber "Buchstäbin neben mir,/wir sind im Wort," Ein andermal tritt die "Frühaufsteherin" aus dem Haus und "buckelt/vom Himmelsgewölbe/den heute/zu tragenden Teil." Es gibt eine ganze Reihe solcher zauberhaft getarnter Sprach-Liebes-Gedichte.

Als wäre aber damit schon zu viel gesagt, kommt Neumann stets auf des Schweigen zurück, das dem auf Babylon bezogenen Pfingst- und Sprachwunder seinen zarten Klang verleiht. In "Versuch über Engel" glaubt er daher zu wissen, warum Gott unsere Gegenwart meidet: "Gibt es denn nur noch/Münder in dieser großen/ Gehörlosenhalle?" Und er besteht auf dem guten Verhältnis: "ein Ohr zum Hören,/eins zum Gehorchen/den Mund zum Widerspruch./Es gibt nur noch Münder."

Ilse Aichinger, der Neumann hier in unserer Akademie vor vielen Jahren die Laudatio hielt, hat aus seiner Lyrik dieses Schweigen herausgehört und ihm zum 60. geschrieben: "Jeder deiner Ratschläge war so daß ich die oft verzweifelt gesuchte, Spur im Rat fand. Und das geschah deshalb, weil in jedem Deiner Ratschläge die Sprache war. Wann auch immer ich etwas lese, denke ich, das hat Sprache und das hat keine Daraufhin befragt, was das heißen solle, wurde mir klar, daß es hieß, das hat Schweigen in sich und das nicht. Derjenige, der schreibt, ist der, dessen Ratschläge nicht zur Vernichtung führen. Alle Mitteilungen sind heute gefährdet. Aber derjenige, der schreibt, ob beredt oder unberedt, setzt das Schweigen dagegen. Das bedeutet für mich immer wieder, das Ergebnis des genauesten, stillen Hinhörens, das. Ergebnis des Schweigens, das Schweigen selbst. Für einen, der schreibt, glücklich darüber, daß es ihn gibt, Ilse Aichinger."



Zu den Gedicht-Bänden: Gedichte Sprüche Zeitansagen / Pfingsten in Babylon / Die Erfindung der Schere/ Auf der Wasserscheide / Was gestern morgen war

Es sind Gedichte 'nach Babel'. Und nichts anderes als das Gedicht selbst ist das gesuchte Sprachwunder.( .... ) Man erlebt eine wohl nur von Gedichten auszulösende Freude, an Ausdrucksmöglichkeit und Erlebnisfähigkeit hinzugewonnen zu haben. Hier hat sich einer Zeit gelassen, nein: genommen - und so ist ihm ein außergewöhnliches und kostbares Gedichtbuch gelungen.
Kurt Oesterle, Süddeutsche Zeitung

Peter Horst Neumann hat mit seiner ersten Gedichtsammlung sehr lange gewartet. Dies sind also keine Vulkanausbrüche einer Sturm-und-Drang-Periode, sondern die Wahrnehmungen und der Reflexionshorizont eines kultivierten Lebens, bei hoher Empfindlichkeit der Übergän-ge und Zwischentöne, lyrische Gesten der Klugheit, der Freundlichkeit und der sensiblen Beobachtung. Den Grad der Gelassenheit, mit der auf den lyrischen prägnanten Augenblick gewartet wird, umschreibt im Kurzgedicht >Wanderlied< der Rat an den "gehbehinderten" Freund: "Bleib stehen./ Es kommt / auf dich zu."
Walter Hinck, Frankfurter Allgemeine Zeitung

Bisher erschienen von diesem gelehrten Dichter erst zwei Gedichtbände, und beide wurden mit angesehenen Preisen ausgezeichnet. Es würde nicht wundern, wenn auch "Die Erfindung der Schere" hohe Anerkennung fände.
w.m., Der Bund, Bern

Bei diesem "poeta doctus", zu dessen Lyrik Ernst Jandl schrieb "Unglaublich schöne Gedichte, in denen alles stimmt. Erkenntnis-Gedichte - ich finde kein Wort, das sie besser bezeichnet", wollen die Worte beim Wort genommen werden. Mühelos überbrücken sie Raum und Zeit. Auch in diesem neuen Band spricht er von Kindheit, Krieg, Liebe und Verlusten, von Orten "ohne Ortsangabe" und Übergängen. ( ... ) Wir begegnet einem ungewöhnlichen Seher, Dichter und Deuter unserer Zeit. Er überbringt uns seine Einsichten oft als bittere Wahr-heiten.
Wolf Peter Schnetz, Nürnberger Nachrichten

Die Diktion und die Art des Empfinden sind so konsequent und einzigartig wie das Religiöse in diesen Gedichten. Es spricht mich an, obwohl ich ein religiös leergewordener Mensch bin. Von solchen Gedichten ist in diesem Band wohl "Altes Kirchengewölbe" ein Höhepunkt, aber auch "Trinklied auf den Messias" oder die wunderschönen "Gründonnerstagsprüche". Als einer der schönsten Texte gilt mir "Frühes Photo der Eltern" mit der Schlußzeile "Wie gern bin ich da". Das ist eine Hymne auf das Wörtchen "da", läßt sich aber schwer oder kaum ins Polnische übersetzen.
Jakub Ekier, Warschau, Dichter und Übersetzer

Vom Gehen und vom Kommen, von langer Dauer, von Gott und der Welt, von Dichtern und vom Garten Eden ist in dem neuen Gedichtband die Rede. Wer denkt, daß solche Gegen-stände einen seraphischen Tonfall erzwingen müßten, täuscht sich. Peter Horst Neumanns Gedichte sind einfach und liebvoll. Sie modulieren kleine Erfahrungen zu großen Einblicken und gestalten sie überraschend. (... ) Es ist eine Art beiläufiger Lebensunterricht. Diese Dich-tung weiß von der Vergeblichkeit allen Strebens und spricht dies in oft grotesken Bildern aus, Bildern wie: "Der Dichter ein Fisch: Noch / mit dem Haken / in der Zunge/ wird er singen."
Reinhard Knodt, Nürnberger Nachrichten

Es ging mir bei der Lektüre seiner Gedichte wie jenem Leser, über den Pascal sagt, er erwarte einen Autor und treffe auf einen Menschen; denn die Diktion dieser kunstvollen Verse ist ganz ungekünstelt; und eine beiläufig ausgesprochene Sentenz " Was zu sagen sich lohnt, / ist gesagt in vier Sätzen / ins halbgeöffnete Ohr", siehe, sie stimmt nur scheinbar. (....) Peter Horst Neumanns Gedichte sind Inseln im Meer der postmodernen Beliebigkeit und ihres uferlosen Subjektivismus.
Helmut Berthold, Griffel. Magazin für Literatur und Kritik




Zu: Die Rettung der Poesie im Unsinn. Über Günter Eich, 2.Aufl., Rimbaud-Taschenbuch Nr. 57, Aachen 2007

Wer Günter Eichs in der Dichtung zurückgelegten Weg, der für die Literatur- und Geistes-geschichte der letzten Jahrzehnte exemplarisch ist, abschreiten will, wird an Peter Horst Neumanns Buch nicht vorbeigehen können. Er wird die zeitgeschichtlichen und religiösen Bedingungen des modernen Anarchismus besser begreifen, wenn er sie am Beispiel dieses zu Trauer und Liebe disponierten Dichters wiedererkennt.
Zürichsee-Zeitung

Neumann hat Eichs späte Dichtung rehabilitiert, auch für ihre Bewunderer, die sie, wie Böll sagte, ebensowenig begriffen haben dürften, wie ihre Kritiker.
Frankfurter Allgemeine Zeitung




Zu: Erschriebene Welt. Essays und Lobreden von Lessing bis Eichendorff, Aachen 2004.- Erlesene Wirklichkeit. Essays und Lobreden von Rilke, Brecht und George bis Celan, Jandl und Ilse Aichinger, Aachen 2005

Mit dem zweiten Band der Aufsätze von Peter Horst Neumann - "Erlesene Wirklichkeit" - setzt der Rimbaud Verlag die Samlung der literaturkritischen Arbeiten des Lyrikers und Lite-raturwissenschaftlers fort. Der erste Band - "Erschriebene Welt" - beschäftigte sich mit Auto-ren von der Aufklärung bis zur Romantik. Der zweite konzentriert sich auf die Literatur des 20.Jahrhunderts. Doch der Untertitel kann getrost als Untertreibung gelten, denn es sind durchgängig vier Jahrhunderte deutscher Literaturgeschichte in diesen Aufsätzen präsent. Für den Leser ist dies immer ein Gewinn, weil hier aus einem gelebten und erlebten Bildungs-kanon heraus geschrieben wird. Der Band sammelt nicht nur die profunden Kenntnisse des Literaturwissenschaftlers, er ist auch von Lektüren getragen, die weit über den literarischen Kanon hinausreichen. So zeigen diese Essays beispielhaft, welche wichtige Rolle gelebte Bildung heute noch innehat und weiterhin innehaben müßte.
"Erlesen" sind die hier vorgelegten Arbeiten in der doppelten Bedeutung des Wortes, weshalb der Titel dieses zweiten Bandes keine Koketterie im Wortspiel enthält: Sie gehören den herausragenden Lektüreerlebnissen zu, wie sie auch hervorgehobene Lektüreerlebnisse beherbergen. Die Sache, über die geschrieben wird, und der Leser, an den sich diese Arbeiten richten, werden hier aufs Schönste miteinander vermittelt.
Waldemar Fromm, Literatur in Bayern